Einführung in die Ideen und das Leben von Laozi
 |
Das Leben des chinesischen Philosophen Laozi liegt für uns noch immer sehr im dunkeln. Im wesentlichen herrschen zwei Theorien vor. Nach der einen Theorie war Lao Dan oder Laozi ein um
etwa 20 Jahre älterer Zeitgenossen des Konfuzius. Im Jahre 571 v.Chr. in Kuxian im Staate Chu (in der heutigen Provinz Henan) geboren, soll er als kaiserlicher Archivar in der Hauptstadt beschäftigt
gewesen sein. In mittleren Jahren soll er sich dann zurückgezogen und ein hohes Alter erreicht haben. Die zweite Theorie geht davon aus, daß es sich bei Laozi um Li Er (Pseudonym Dan) aus dem
obengenannten Ort im Staate Chu handle, der im 3. Jahrhundert v.Chr. gelebt hat und dem das gleichnamige Werk, »Laozi«, besser bekannt unter dem Titel »Dao-de-jing« (alte Schreibung: Tao Te King) zugeschrieben wird.
Das Dao-de-jing ist mir ziemlicher Sicherheit ein Produkt der Zeit der Streitenden Reiche. Es ist nicht das Werk eines einzelnen Menschen, sondern enthält nachweisbar eine ganze Reihe später
hinzugefügter Textpassagen. Es ist das meistübersetzte Buch Chinas. Entsprechend seinem mystischen Inhalt, der häufig eine Reihe von Deutungen zuläßt, weichen die einzelnen Übersetzungen
oft sehr stark voneinander ab, was auch damit zusammenhängt, daß einige Dilettanten, welche der klassischen chinesischen Schriftsprache nicht im erforderlichen Aussmaß, ja in manchen Fällen
überhaupt nicht mächtig waren, sich an »Übersetzungen« und Interpretationen versucht haben. Das »Dao«, Ursprung allen Seins Im Zentrum der Lehre des Taoisten Laozi steht der Begriff des Dao. Unter diesem äußerst schwer
definierbaren Begriff – Dao heißt wörtlich »Weg« - versteht man das Urprinzip, die Urgewalt, aus der alles Sein, alle Dinge hervorgehen. Obwohl dem Dao gelegentlich auch lebewesenhafte, ja sogar
persönliche Eigenschaften zugesprochen werden, ist es in seinem Wesen weder Lebewesen noch Sache, sonder einfach »Urkraft«. Es ist auch nicht identisch mit der Vorstellung eines
anthropomorphen Schöpfergottes. Über dem Ursprung dieses Dao meint Laozi, daß er nicht wisse, von wem es stamme, es trete jedoch ursprünglich als Gott bzw. die Götter auf, habe bereits vor
Himmel und Erde existiert und sei als die Mutter der Welt zu betrachten. Das Dao ist das Urprinzip alles Seins, das den zehntausend Dingen, das heißt allem Existierenden, seine Form und sein
Schicksal gibt und sowohl die makrokosmischen wie auch die mikrokosmischen Kräfte in Bewegung setzt. Dazu Laozi: »Wie alldurchdringend ist doch das Große Dao! Es vermag überall (wörtlich: links und rechts) zu
wirken. Alle wörtlich: die zehntausend) Dinge verdanken Ihm ihre Existenz, und es entzieht sich ihnen nichts, In sein Werk vollendet, nimmt es diese nicht in Besitz. Es kleidet und nährt alle
(wörtlich: die zehntausend) Dinge, agiert jedoch nicht als (deren) Herr. Da es (selbst) niemand begehrt, kann man es klein nennen. Da alle (wörtlich: die zehntausend) Dinge zu ihm zurückkehren,
es aber dennoch nicht als (deren) Herr agiert, kann man es groß nennen.«
An anderer Stelle sagt Laozi: »Es existiert ein Wesen, vollständig vollendet, noch bevor Himmel und Erde entstanden. Ruhig und
leer steht es allein und ändert sich nicht. Es dreht sich im Kreise und wird nie müde. Man kann es als die Mutter der Welt betrachten. Ich kenne seinen Namen nicht, und nenn es (daher einfach) Dao.
Mich zwingend es zu bezeichnen, nenn ich es groß. Groß heißt weiterziehend, weiterziehend heißt in die Ferne ziehen, in die Ferne ziehen heiß (wieder) zurückkehrend. So ist also das Dao groß, der
Himmel groß, die Erde groß, auch der Mensch ist groß. Im Raume (aller Existenz) gibt es (also) vier Große, von denen einer der Mensch ist. Der Mensch hält sich an die Erde. Die Erde hält sich an
den Himmel. Der Himmel hält sich an das Dao. Das Dao hält sich selbst.« Unter »De«, dem zweiten Begriff im Titel des Dao-de-jing, versteht man die Wirksamkeit bzw. das
Wirken des Dao in der Welt, im Menschen, in allen Wesen, wobei diese Wirksamkeiten bei allen Existierenden, bei allen Lebewesen, nach bestimmten Gesetzesmäßigkeiten ihren Ablauf nimmt. Bei
ihrer Entstehung sind die Wesen zart und schwach, bei ihrem Tode spröde und hart: »Wenn die Menschen zu leben beginnen, sind sie zart und schwach, wenn sie sterben, sind sie hart und stark.
Wenn die zehntausend Wesen, Pflanzen und Bäume zu leben beginnen, sind sie zart und weich, wenn sie sterben, sind sie verdorrt und starr. Daher ist das, was hart und stark ist, Begleiter des
Todes und das, was zart und weich ist, Begleiter des Lebens.« Der Sinn dieser Aussage liegt auf der Hand: Vom Dao gezeugt, unterliegt das junge, zarte Leben –
unbewußt – noch völlig der Wirksamkeit des Dao, also dem De. Einmal erwachsen, ist in ihm jedoch neben dem Dao ein zusehend stärker werdender Anteil an Eigenleben wirksam, welcher die
Wirksamkeit des Dao immer mehr verdrängst. Immer wieder wir im Taoismus dazu das Beispiel vom Wasser herangezogen: »Nichts auf der Welt«, heißt es, »ist zarter und schwächer als das
Wasser; aber (auch) nichts ist mächtiger, wenn es darum geht, das Feste und Starke anzugreifen.« In jedem Menschen wirkt also da Dao und bildet die Wurzel seiner Existenz. Ist der Mensch gerade
geboren, wirkt das Dao automatisch in seinem noch völlig passiv ausgerichteten Leben. Mit zunehmendem Alter jedoch entwickelt sich im Menschen eine immer stärker werdende
Betriebsamkeit, die das menschliche Wesen immer mehr von seiner wahren Wurzel entfernt. Vor allem sind es die egoistischen Triebe der Begierde und der Habsucht, die das Dao im Menschen
immer mehr verschütten. Um diesem Weg ins endgültige Verderben zu entgehen, muß der Mensch zu seiner Wurzel zurückkehren und sein wahres Dao kultivieren. Dies ist nach taoistischer Lehre
jedoch nur möglich, wenn sich der Mensch selbst aufgibt, das heißt, wenn er sich von allen Wünschen und Begierden befreit. Ununterbrochene Betriebsamkeit führt ins Verderben, daher heißt
die Devise: Nicht-Handeln (wu-wei)! Da das Dao aus dem Nicht-Sein kommt, gilt es, wieder zur Großen Leere zurückzufinden und in stiller In-sich-Gekehrtheit die Wirksamkeit des Dao zu entfalten.
Der Begriff des Nicht-Handelns ist durchaus nicht gleichzusetzen mit dem Begriff des Dolcefarniente, des süßen Nichtstuns, sondern bedeutet ein totales Abschalten der menschlichen
Betriebsamkeit, verbunden mit einem stillen, inneren Wirksam-werden-Lassen, mit einem Zur-Entfaltung-Bringen des wahren, ewigen Dao. Da der Mensch alle nur erdenklichen Mittel und
Methoden ersinnt, sich die Wünsche und Begierden, die ihn bewegen, zu erfüllen, ist es viel besser für ihn, diese von allem Anfang an niedrig zu halten bzw. herabzuschrauben. Denn es ist oft so, daß
man Dinge dadurch, daß man sie zu verringert sucht, vermehrt. Dies gilt nicht nur für das Individuum, sondern auch für die menschliche Gesellschaft. Dazu Laozi:
»Wenn man die Tüchtigen nicht bevorzugt, so bewirkt man (dadurch), daß das Volk nicht streitet. Wenn man schwer zu erlangende Güter nicht hoch einschätzt, so bewirkt man (dadurch), daß das
Volk nicht zu Dieben wird. Wenn man nichts Begehrenswertes zur Schau stellt, so bewirkt man (dadurch), daß das Volk in seinem Herzen nicht verwirrt wird. Es regiert daher der Heilige auf
folgende Weise: Er leert ihre Herzen und füllt ihre Bäuche. Er schwächt ihre Ambitionen und stärkt ihre Knochen. Er wirkt immer daraufhin, daß die Wissen und ohne Begierden ist. Er wirkt (ferner)
daraufhin, daß die Wissenden nicht wagen zu handeln. Er praktiziert das Nicht-Handeln, und dadurch gibt es nichts, was nicht in Ordnung ist.«
Insbesondere tritt Laozi auch gegen Wissen und Wissensvermittlung auf, und zwar mit folgender Argumentation: einmal, weil Wissen bereits für sich selbst ein Objekt des Begehrens sei, nach dem
man strebe, und zum anderen, weil wir durch Wissen wiederum andere begehrenswerte Objekte, von denen wir sodann Besitz ergreifen wollten, in Erfahrung brächten, und letztlich, weil wir durch
Wissen auch noch in die Lage versetzt würden, uns die Objekte unseres Begehrens zu Beschaffen, und dann letzten Endes überhaupt nicht mehr wüßten, wo wir aufhören sollten, was uns wiederum
nur zum Verderben gereichen würde. Je mehr wir lernen und studieren, desto mehr würden unsere Wünsche und unsere Begierden zunehmen. Das Volk, meint Laozi, sei auf keinen Fall durch
Wissen, sonder nur durch Nicht-Wissen zu regieren: »Diejenigen, die in alten Zeiten tüchtig waren um Handeln nach dem Dao, handelten nicht, indem sie
das Volk aufklärten, sondern dadurch, daß sie es dumm hielten. Daß das Volk scher zu regieren ist, kommt daher, daß sein Wissen zu groß ist. Daher ist der, welcher einen Staat durch Wissen
(=Wissensvermittlung) regiert, ein Räuber des Staates, und der, welcher den Staat nicht durch Wissen regiert, ein Glück für den Staat.«
Der Idealstaat ist also nach Laozi ein Staat mit einer ganz elementaren, einfachen Kultur. Ein Staat, dessen Volk die Gegenwart seines Herrschers wie auch die seines Beamtenapparates so gut wie gar
nicht spüren sollte. Die einzelnen Staaten, so das Idealbild Laozis, sollten friedlich nebeneinander existieren, die Bevölkerung eines jeden Staates sollte in diesem Staate blieben. Obwohl Wagen und
Schiffe vorhanden sind, sollte man von diesen keinen Gebrauch machen. Im gegenseitigen Verkehr sollte man sich auf das Allernotwendigste beschränken. Streitigkeiten zwischen den Menschen und
insbesondere Kriege zwischen den verschiedenen Staaten sollte es unter keinen Umständen mehr geben. Jeder sollte in Beschränkung ein glückliches Leben führen, ohne jemals nach irgendeinem
Fortschritt seiner Person oder der Gesellschaft zu trachten. Wenngleich bei Laozi immer wieder von einem vollständigen Eliminieren der menschlichen Begierden und Wünsche die Rede ist, so versteht
er hierunter durchaus nicht jene prinzipielle Verneinung des menschlichen Lebens, wie sie dem Buddhismus als geistige Strömung eigen war, sondern war einfach der Meinung, daß die Wünsche
des Menschen auf ein weit geringeres Maß reduziert werden sollten.
|
|